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Die Fast-Geschichte des Kommunismus in Westeuropa

Kommunismus in Westeuropa

Der Kommunismus – oder vielmehr der „real existierende Sozialismus“, wie seine Vertreter ihn fast schon entschuldigend nannten – hielt im 20. Jahrhundert weite Teile Europas in seinem Bann. Diese kommunistischen Diktaturen hatten untereinander nicht viel gemeinsam und ihre Geschichte war teils grundverschieden. Doch eines hatten sie doch alle gemein: Sie waren auf nur einer Hälfte des Kontinents konzentriert. Den Kommunismus als Staatsideologie nach Karl Marx und Friedrich Engels gab es schlicht und ergreifend nur in Osteuropa! Er wurde entweder mit der Roten Armee importiert oder war – wie in Jugoslawien und Albanien – zumindest von der Sowjetunion inspiriert. In Westeuropa schien die Anziehungskraft dieser Ideologie dagegen schwächer zu sein.

Das ist an und für sich doch überraschend. Laut den Theorien von Karl Marx hätte die kommunistische Revolution doch gerade in den entwickelten Industriestaaten Westeuropas zuerst stattfinden müssen! Immerhin war es doch dort, dass der Kapitalismus bereits seine sogenannte „Spätphase“ erreicht hatte, dass der „Klassenkampf“ seinem Höhepunkt entgegen ging. Doch es war ausgerechnet in der landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft Russlands, in der die erste erfolgreiche kommunistische Revolution stattfand.

Westeuropa und der Kommunismus

Versuche den Kommunismus oder Sozialismus gewaltsam oder auf dem parlamentarischen Weg umzusetzen gab es aber auch in Westeuropa zur Genüge. Denn an starken kommunistischen Bewegungen mangelte es auch hier beim besten Willen nicht. Gleich nach dem Ersten Weltkrieg gründete sich in Bayern – ja, ausgerechnet in Bayern – eine kommunistische Räterepublik. In Spanien folgte in den 1930ern bekanntlich ein Bürgerkrieg zwischen den kommunistisch und faschistisch unterstützten Fraktionen im Land. Und auch in Griechenland, zugegebenermaßen nicht unbedingt Westeuropa aber doch ein späteres NATO-Mitglied, folgte nach dem Zweiten Weltkrieg ein Bürgerkrieg zwischen der konservativen Regierung und kommunistischen Revolutionären.

In all diesen Beispielen setzte sich nach Bürgerkrieg und Aufstand aber die sogenannte „Reaktion“ durch. Aus der bayerischen Räterepublik wurde die „Ordnungszelle Bayern“, ein Brutkasten für radikal-nationalistische Politik und nicht zufällig „Hauptstadt der Bewegung“ für die Nationalsozialisten. In Spanien setzte sich Francisco Franco mit seinen faschistischen Schergen im Bürgerkrieg durch, in Griechenland siegte ebenfalls die konservative Regierung. Doch in zumindest zwei Staaten Westeuropas sah es auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch danach aus, als hätte der Kommunismus eine echte Chance: in Italien und Frankreich.

Italien

Italien mag uns heute als Gründungsmitglied von EU und NATO als unwahrscheinlicher Kandidat für eine kommunistische Machtübernahme erscheinen. In Wahrheit war es dort nach dem Zweiten Weltkrieg aber mehr als nur ein bisschen knapp. Immerhin konnte man in Italien zu dem Zeitpunkt bereits auf eine stolze kommunistische Tradition zurückblicken. Schon während und nach dem Ersten Weltkrieg formierten sich in dem Land erste größere kommunistische Bewegungen, die dann 1921 zur Gründung der Kommunistischen Partei führten. Der Aufstieg des Kommunismus in Italien wurde aber schon sehr bald jäh unterbrochen. Bereits 1922 putschten sich die Faschisten unter Benito Mussolini an die Macht (übrigens selbst ehemaliger Sozialist) und vier Jahre später wurde die Kommunistische Partei dann gänzlich verboten.

Trotz aller Repression konnte die Bewegung dennoch im Untergrund der Gesellschaft überleben – wohl auch durch finanzielle und organisatorische Unterstützung aus der Sowjetunion. Als Mussolini dann 1943 gestürzt wurde, gingen die Kommunisten zum bewaffneten Gegenangriff über und im Verlauf der letzten beiden Kriegsjahre wuchs die Partisanenbewegung Italiens enorm an. Die Kommunistische Partei war dabei eine treibende Kraft. Nach der Hinrichtung Mussolinis und dem Ende des Weltkriegs waren die Kommunisten somit schon lange zur Massenbewegung geworden.

Dass sie nach 1945 nicht die Macht in Italien übernahmen, war damit alles andere als zwangsläufig. Die Kommunistische Partei Italiens war in der unmittelbaren Nachkriegszeit die stärkste kommunistische Bewegung Westeuropas! Sie hatte fast zwei Millionen Mitglieder und genoss durch den Partisanenkampf breite Unterstützung im Land. Die „Diktatur des Proletariats“ konnte doch nicht mehr weit sein! Nach Kriegsende entschieden sich die Anführer der Partei unter dem Vorsitzenden Palmiro Togliatti aber, sich an einer Übergangsregierung zu beteiligen, anstatt nach osteuropäischem Muster zu versuchen, die Macht an sich zu reißen. Dennoch bedeutete dies noch keine Distanzierung vom Stalinismus. Immerhin gehörten die Kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs als einzige Gruppen Westeuropas zu den Gründungsmitgliedern der sowjetischen Kominform. Togliatti sollte nach Stalins Wunsch sogar Chef der Organisation werden, um die kommunistischen Parteien auf Linie zu halten. Dieses Angebot schlug Togliatti aber aus.

An den Wahlen 1948 nahmen die Kommunisten schließlich als „gewöhnliche“ Partei teil, wurden jedoch von den konservativen Christdemokraten geschlagen, die mit über 48 Prozent der Stimmen einen Erdrutschsieg feierten. Das Bündnis der Kommunisten erhielt dennoch beachtliche 31 Prozent, die Sozialdemokraten weitere 7 Prozent. Das Fenster für eine kommunistische Machtübernahme durch Putsch schloss sich somit, die Kommunistische Partei Italiens blieb aber noch über Jahrzehnte hinweg eine einflussreiche Kraft in der italienischen Politik. Durch ihre Distanzierung vom Stalinismus konnte die Bewegung dann auch weiterhin wachsen und schließlich Mitte der 1970er-Jahre ihr bestes Wahlergebnis aller Zeiten erreichen: ganze 34 Prozent der Stimmen! Zu dem Zeitpunkt hatte man sich aber schon dem sogenannten Eurokommunismus verschrieben. Die Bindung zu den kommunistischen Parteien Osteuropas war nur noch symbolisch. Inzwischen hatte sich ja sogar unter der Linken herumgesprochen, dass der Stalinismus nicht ganz so toll war. Naja, unter Teilen der Linken zumindest.

Frankreich

Frankreich kann ganz ähnlich wie Italien auf eine lange Tradition des Kommunismus aufbauen. Hier geht diese Tradition sogar noch um einiges weiter zurück als „nur“ bis zum Ersten Weltkrieg. Immerhin galt die Pariser Kommune von 1871 für den Kommunismus in Frankreich lange Zeit als Vorbild schlechthin. Die moderne Kommunistische Partei Frankreichs gründete sich dennoch ähnlich wie in Italien erst nach dem Krieg, genauer gesagt im Jahr 1920. Anders als in Italien konnte sich die Partei über die 1920er- und 30er-Jahre hinweg noch weiter entfalten und zu einem echten politischen Machtfaktor werden. Den Höhepunkt ihrer Entwicklung stellen schließlich die Wahlen 1936 dar, aus denen die Kommunisten mit dem Parteienbündnis „Front Populaire“ als Sieger hervorging. Sie stellte in der folgenden Regierung jedoch keine eigenen Minister.

Mit dem Einfall Deutschlands im Jahr 1940 war die Kommunistische Partei Frankreichs trotzdem erst mal vollkommen paralysiert. Sie war stark von der Unterstützung aus der Sowjetunion abhängig. Ihr dortiger Verbündeter Stalin war nun aber nicht unbedingt hilfreich, hatte er doch gerade den Nichtangriffspakt mit Hitler unterschrieben und sich die Hälfte Polens einverleibt. Erst mit dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion im Jahr darauf floss auch wieder Unterstützung aus Moskau nach Frankreich und die Kommunisten schlossen sich der Résistance an. Nach dem Krieg wurden die französischen Kommunisten wie in Italien Teil der Übergangsregierung. In den Wahlen 1946 gingen sie dann sogar als stärkste Partei hervor mit fast 29 Prozent der Stimmen.

Es war schließlich der Marshallplan, der dem Aufstieg des Kommunismus in Frankreich den entscheidenden Dämpfer versetzte. Als er 1947 angekündigt wurde, spaltete der Plan die linke Szene in ganz Europa. Die französische Parteiführung um Maurice Thorez blieb dabei lange dem Stalinismus verpflichtet, stellte sich gegen den amerikanischen Marshallplan und gab diese Einstellung erst in den 1970er-Jahren langsam auf, als sie sich auch dem Eurokommunismus zuwandte. Bis in die frühen 80er-Jahre hinein, blieben die Kommunisten dennoch die stärkste Partei links der Mitte in Frankreich. Es gibt die Partei auch heute noch und sie ist sogar die mitgliederstärkste kommunistische Partei Europas. Von zwei Millionen Mitgliedern, die solche Bewegungen in der Nachkriegszeit teils hatten, kann aber natürlich keine Rede mehr sein. Heute sind es noch etwa 140.000. Politisch ist die Partei in Frankreich dennoch kaum noch relevant.

Die Geschichte hätte auch anders ausgehen können. Kommunistisch zum Beispiel

Der Kommunismus war also im 20. Jahrhundert auch in Westeuropa eine echte politische Option. Karl Marx hätte nach all den Jahren doch noch recht behalten können und dass es nicht so gekommen ist, ist wohl einigen glücklichen Faktoren und auch dem Zufall zu danken. In Italien wie in Frankreich gehörten die Kommunisten nach 1945 zu den stärksten Parteien im Land – in ihren Wahlergebnissen, ganz besonders aber in ihrer Mitgliederschaft. Als zwei Jahre später der Marshallplan anrollte, hätten sich diese Parteien auch ganz anders entscheiden können. Ein kommunistischer Putsch gegen den US-finanzierten Kapitalismus wäre in beiden Ländern durchaus denkbar gewesen, was ja zeitgleich im Griechischen Bürgerkrieg bewiesen wurde. Es ist der Führung der beiden Parteien und wohl auch dem Zögern Stalins zu verdanken, dass man sich für die Zusammenarbeit im neuen demokratischen System entschied. Da haben wir nochmal gewaltig Glück gehabt …

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